Ich lese den SPIEGEL selbst regelmäßig, hauptsächlich wegen der guten Artikel zu Systempolitik, immer auch wegen der prima Stilblüten im Hohlspiegel. Aber der sehr meinungsbildende Stil stößt mir auch ab und zu sauer auf, in der Vergangenheit war das zum Beispiel bei Filmbesprechungen schon öfter so.
Diese Woche bekommen wir nun einen fürchterlichen Artikel über "Die Besser-Essis" präsentiert - "Die Besser-Esser" wurde schon zu oft verwendet, etwas gescheiteres fiel dem Autor dann aber wohl auch nicht ein.
In dem zweieinhalbseitigen Artikel, der mit den Worten "Keine Frage: Veganer können nerven." beginnt, wird versucht, ein Bild der aktuellen Stellung von vegan lebenden Menschen in Deutschland zu zeichnen. Dabei wird grob zwischen akzeptablen Exemplaren, die ihre Umwelt nicht terrorisieren, und solchen Nervensägen unterschieden, die Vegetarier als Massenmörder bezeichnen.
Die Art der Darstellung hat mich in dieser Zeitschrift besonders angewidert, da der SPIEGEL ein linksliberales Blatt ist, die Aussage dieses Artikels aber so zusammengefasst werden kann: Moral sollte niemanden zu sehr interessieren, ist bestenfalls als eigene Meinung einzustufen, sich für Tiere einzusetzen ist allenfalls durch den Verkauf von Kochbüchern angemessen, alles Weitere zu belächeln.
Zweimal ist sogar von "veganischen" Menschen die Rede, anschließend geht es dann noch um "Flexitarier" - ein ebenso furchtbarer, aber wenigstens existierender Begriff. Als Beispiel für diese "undogmatische" Ernährungsform wird ein übergewichtiger Stammgast des La Mano Verde herangezogen. Was ich von diesem Laden und vor allem dem ebenso undogmatischen ("vier Tage die Woche vegan") Betreiber halte, habe ich ja
schon einmal berichtet.
Bei einer Diskussion über den Artikel bin ich auf einen sehr interessanten Blog gestoßen, den ich hier empfehlen möchte:
frieschmitz BLOG. Dort wurde auch ein
Link zum kompletten SPIEGEL-Artikel auf der Homepage des La Mano Verde gepostet.
Von dem erwähnten Antitierbenutzungshof gibt es außerdem bereits eine lesenswerte
Stellungnahme, ein Muss für alle, die den Artikel gelesen haben.
Es ist doch ein Armutszeugnis, sich nur von Konsumaufrufen leiten zu lassen. Hier wird klar deutlich, wie nicht nur der Autor, sondern auch viele andere Menschen sich Veganismus öffnen bzw. verschließen möchten. Selbstverständlich gehören das Hervorheben der attraktiven Vorteile und der reichhaltigen veganen Küche zur Überzeugungsarbeit. Aber wer sich nur von Rufen wie "Kauft dieses Buch, besucht meinen Kochkurs, kauft mehr weißes Mandelmus!" beeindrucken lässt, auf moralische Ansprachen aber allergisch reagiert, beweist eins: dass er/sie das eigene Verhalten nur aufgrund des Versprechens nach einem schöneren, höheren Konsum ändern möchte, weil diese Form der Verhaltensänderung in unserem kapitalistischen System normal erscheint. Das ist jetzt vielleicht weit ausgeholt, aber im Endeffekt sollte doch jeder wissen: natürlich geht es bei Veganismus um Verzicht! Das Weglassen, Entsagen eben. Auch wenn die meisten Menschen bei der Umstellung viele neue Lebensmittel kennenlernen und sich anschließend reichhaltiger ernähren; die Essenz ist nicht der marinierte Tofu, sondern die weiteste Entfernung von einem abscheulichen System, das es nie hätte geben dürfen.
Nachdem ich die letzten Male über vegane Versanddienstleister und Kochbücher geschrieben habe, hoffe ich, dass das nun nicht als widersprüchlich aufgefasst wird.
Menschen, die "veganisch" sagen, die es merkwürdig finden, Tiere als "Individuen" zu bezeichnen, die es obszön finden, bei Leichenteilen von Leichenteilen zu sprechen, sollten wissen: Selbst die penetrantesten Veganer_innen behandeln Euch mit Eurem bequemen Egoismus noch viel zu sanft.
In Ergänzung an den Artikel kann ich berichten, dass die unbequeme Bewegung nicht vorhat, auszusterben. Auf Menschen, die sinnfrei quälen und töten lassen, wird auch in Zukunft vermehrt mit dem Zeigefinger gezeigt werden.
Als kleine Untermauerung hier eine Nachricht aus Süddeutschland vom Wochenende:
http://www.regensburg-digital.de/blockade-am-grosten-schlachthof-suddeutschlands/11032013/